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Kampf gegen Rheuma

Zum Termin in der Villa Anthropia trägt Markus Geffe Anzughose und Hemd, über der Stirn tanzt eine widerspenstige Haarsträhne aus der Reihe. „Eigentlich bin ich viel lieber in der Werkstatt“, sagt er beinahe entschuldigend. Der 35-Jährige ist jemand, der die Ärmel hochkrempelt und Probleme anpackt. Das hat er von seinem alten Chef. „Der war ein unglaublicher Macher“, erzählt er voller Bewunderung. „Von ihm habe ich gelernt: Wenn du dir viel vornimmst, erreichst du auch viel.“ Inzwischen fordert Geffe selbst eine mächtige Branche heraus: Mit seinem Start-up Medirion will es der Duisburger mit einer schweren Krankheit aufnehmen – und Fachärzten, Krankenkassen und Pharmaindustrie zeigen, dass „Rheuma-Patienten gar nicht erst Patienten werden müssen“.

Angefangen hat alles mit einer Diagnose in der Familie. Markus Geffes Onkel erkrankte an rheumatoider Arthritis, bald darauf zwei weitere Familienmitglieder. Und alle beschwerten sich über den langwierigen Prozess zur Erkennung der dauerhaften Gelenksentzündung, an der zwischen 0,5 und einem Prozent der Bevölkerung leiden – allein die Wartezeit auf einen ersten Termin beim Rheumatologen betrage aktuell sechs bis neun Monate, erzählt Geffe.

Den ersten Prototypen hat Markus Geffe (li.) allein entwickelt. Inzwischen ist auch KI-Entwickler Tobias Alfs bei Medirion an Bord.

„Wenn du dir viel vornimmst, erreichst du auch viel.“

Markus Geffe

Das zerrt nicht nur an den Nerven. Tatsächlich spielt der Zeitfaktor bei Rheumapatienten eine große Rolle, denn meist schreitet die Krankheit in den ersten zwei Jahren am schnellsten voran. Nur bei frühzeitiger Behandlung können die Beschwerden in Schach gehalten werden. Bei ersten Internetrecherchen stolperte Geffe über medizinische Studien, die eine einfache Lösung propagierten: Durch Messung der Handtemperatur können entzündete Gelenke erkannt werden – unkompliziert, nichtinvasiv. Als der Berater für Automobilkonzerne zu Beginn der Corona-Pandemie in Kurzarbeit geriet, stieg er tiefer ein ins Thema Rheuma, anderthalb Jahre ging das so. „Und als ich Vollzeit zurück in meinen Job gegangen bin, war ich so angefixt, dass ich nicht mehr aufhören konnte“, erinnert er sich.

Künstliche Intelligenz hilft

Heute nutzt Geffe seine Expertise als Maschinenbauingenieur und Fahrzeugtechniker für sein Medizin-Start-up. Im Lauf seiner Karriere hat er sich unter anderem mit der bildgebenden Verarbeitung im autonomen Fahren beschäftigt, die gleiche Technik wendet er nun für die Erkennung von Rheuma an: „In beiden Fällen geht es um die Verarbeitung von Bilddaten mittels Künstlicher Intelligenz. Beim autonomen Fahren versucht die KI, Muster im Verkehr zu erkennen – Ampeln, Fußgänger usw. Bei Medirion versuchen wir, Muster im Wärmebild einer Hand zu erkennen.“

Das Ziel: Innerhalb von zwei Wochen nach dem Anfangsverdacht des Hausarztes und damit lange vor der abschließenden Diagnose durch Labortests, Röntgen-, MRT- und Ultraschallaufnahmen beim Rheumatologen soll die Rheumatoide Arthritis erkannt und die Degeneration der Gelenkinnenhaut bestenfalls angehalten werden. 70 Prozent könnten so beschwerdefrei leben – aktuell erreicht das nur jeder Zehnte der Betroffenen.

Einen Prototyp dafür hat Markus Geffe innerhalb von nur zehn Monaten im Alleingang in seiner Kellerwerkstatt entwickelt und auch gleich in einer eigenen präklinischen Studie unter der Aufsicht von Privatdozent Dr. Philipp Sewerin im Rheumazentrum Ruhrgebiet bewiesen, dass der Lösungsansatz aus der Theorie tatsächlich in ein funktionierendes Medizinprodukt überführbar ist. Das kleine Gerät passt noch auf den alten Küchentisch, der neue Prototyp kommt da schon wuchtiger daher. Mittlerweile steht ein gutes Dutzend 3D-Drucker an der Wand, auf dem Boden stapeln sich die Filament-Rollen. Sogar die Platinen fertigt Geffe selbst – neben dem Vollzeitjob. So kommt schnell eine Arbeitswoche von 60 bis 80 Stunden zusammen.

Für die Rheumadiagnose soll eine KI Muster im Wärmebild einer Hand erkennen.
Kellerwerkstatt: Wo heute 3D-Drucker stehen, fertigte Geffes Opa noch Schuhe.

Hochschule Rhein-Waal als Partner

Auch die Anschubfinanzierung hat Geffe allein gestemmt: 100.000 Euro hat der Unternehmer schon in Medirion investiert, die Hälfte davon in Patente. Inzwischen unterstützen ihn neben der gemeinnützigen Anthropia GmbH mit ihrem Förderprogramm für Start-ups auch der stellvertretende Klinikdirektor der Rheumaklinik Herne, Dr. Sewerin, und KI-Entwickler Tobias Alfs als Co-Gründer. Richtig durchstarten will Geffe jetzt zusammen mit der Hochschule Rhein-Waal: Ein gemeinsamer Förderantrag ist gestellt, ab dem kommenden Jahr sollen dann im Rheumazentrum mehrere Studien durchgeführt werden, die nicht nur zeigen, dass das Gerät von Medirion zur Früherkennung von Rheuma taugt, sondern auch, dass, der Einsatz im Klinikalltag reibungslos läuft. „Mit solchen Tests kommen in der Regel neue Nutzerbedürfnisse hinzu, die dazu führen, dass das Gerät modifiziert werden muss“, erklärt Professor Dr. Karsten Nebe, Experte für Usability Engineering und Digitale Fertigung an der Hochschule Rhein-Waal. Das sei nur ein Grund dafür, warum die Entwicklungszeit bei Medizinprodukten meist sechs bis acht Jahre beträgt.

Marktreife noch vor 2030

Auch die eingesetzte KI brauche für verlässliche Diagnosen einen großen Datensatz von möglichst vielen Probanden. „Die KI ist wie ein kleines Kind“, erklärt Markus Geffe dazu. „Man zeigt ihr Bilder und sagt: Das ist eine von Rheuma betroffene Hand und dies eine gesunde. Sag mir mal, was der Unterschied zwischen den Bildern ist.“ Aktuell hofft der Gründer, noch in diesem Jahrzehnt die Marktreife mit seiner Erfindung zu erreichen. Der Temperaturmesser könnte dann zum Beispiel in ausgewählten Apotheken zum Einsatz kommen und innerhalb von fünf Minuten Anhaltspunkte für eine Gelenksentzündung liefern. So würden Patienten schon lange vor dem ersten Termin beim Rheumatologen von der Früherkennung profitieren. Und nebenbei könnte auch die deutsche Wirtschaft entlastet werden: Arbeitsausfälle, Pflegekosten und andere Faktoren summieren sich laut Geffe auf Kosten in Höhe von sieben Milliarden Euro pro Jahr.

Geffe ist einer von über 400 Stipendiaten der Anthropia gGmbH

Förderung

Als Inkubator für grüne und soziale Start-ups hat die Anthropia gGmbH mit ihrem „Impact Factory“-Programm bereits über 200 Start-ups gefördert. Die mehr als 400 Gründerinnen und Gründer, die das von mehreren Partnerorganisationen getragene Stipendium für Social Entrepreneurs erhalten haben, profitieren dabei von Co-Working- Spaces auf dem Haniel-Gelände, Networking und verschiedenen Workshops. Weitere Infos unter: anthropia.de


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