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Musik gegen den Corona-Blues

Eine Gitarre, zwei Zuhörer: Mit winzigen Wohnzimmerkonzerten hat Jupp Götz gegen die Pandemie angespielt – und ein neues Format für sich entdeckt

Dass Jupp Götz auch mal schlechte Laune hat, kann man sich eigentlich kaum vorstellen. Selbst bei nasskaltem Nieselwetter packt der Duisburger seine Gitarre aus und spielt mit ein paar Akkorden des Bobby -Hebb-Klassikers „Sunny“ gegen den grauen Himmel an. Sein ganzes Gesicht strahlt. Es wäre zu viel gesagt, dass solche winzigen Musikeinlagen wie hier am Strand der Aloha-SUP-Station Jupp Götz' neues Geschäftsmodell sind. Doch irgendwie haben sie den Musiker durch das vergangene Jahr gerettet.

Freudentränen statt Gage

Als die Pandemie in vollem Gange war, schnappte sich Jupp Götz, der in den neunziger Jahren mit seiner „Acoustic Cover Band“ schon als Vorgruppe von Weltstars wie Michael Jackson, Tina Turner oder Joe Cocker vor bis zu 65.000 Menschen spielte, seine Gitarre und zog als musikgewordener zweiter Haushalt durch die Wohnzimmer seiner alten Bekannten. Etwa ein Dutzend ausgesuchter Kleinkonzerte hat er während der verschiedenen Lockdowns gespielt. Für einen alten Lehrer und dessen Frau, beide längst über 80.

Ob im Wohnzimmer oder am Strand, auch bei kleinen Konzerten genießt Jupp Götz die Freude seiner Zuhörer

„Da merkt man, was Musik für eine Kraft hat.“

Jupp Götz

Für einen langjährigen Freund seines Vaters. „Ich hatte die Zeit und die konnten nicht raus. Also habe ich für sie ein richtiges Konzert gespielt, eine Stunde lang, Reinhard Mey und so was“, erzählt der kräftige Mann mit der Glatze ganz pragmatisch. „Freude, Weinen, alles war dabei. Da merkt man, was Musik für eine Kraft hat.“ Die privaten Wohnzimmerkonzerte bei einer Tasse Kaffee sind aus der Not heraus geboren. Schließlich kamen die Corona-Einschränkungen für Jupp Götz, der als Berufsmusiker eigentlich auf Auftritte vor vielen Menschen angewiesen ist, einem Berufsverbot gleich. Er lebte von seinen Ersparnissen auf kleinem Fuß, beantragte Stipendien und staatliche Hilfen, wo immer es ging. Doch viel schlimmer als der finanzielle Erdrutsch war für ihn das, was Jupp Götz den Corona-Blues nennt. „Ich hätte mich auf der Gitarre weiter verbessern oder Piano lernen können. Mit der Band hätten wir komplett neue Programme machen können, aber du kommst in so eine Lethargie“, sagt der Frontmann des Poplounge- Trios „Trionova“. „Ich stelle mir das vor wie bei manch einem Langzeitarbeitslosen, der vor dem Fernseher versackt. Man braucht eine Aufgabe, ein Ziel.“

Ein Stück Normalität: spontane Sonnenuntergangsgigs am Rhein.

Natürlich hat Jupp Götz auch im vergangenen Jahr Songs geschrieben, oft melancholische Stücke, in seiner Küche mit Blick aus dem Fenster. Ein paar Lieder hat er sogar aufgenommen, die Website seiner Band überarbeitet. Aber das Wesentliche fehlte. „Ich gehe nicht kaputt, wenn ich nicht vor Publikum spiele. Ich brauche den Applaus nicht, aber ich brauche die Freude der Menschen“, sagt der 56-Jährige eindringlich. Deshalb sind die Wohnzimmerkonzerte für ihn eine Herzensangelegenheit. „Da geht's nicht um Geld, sondern darum, dass sich der Aufwand auch für zwei Menschen lohnt.“

Zweifel und Unsicherheit bleiben

Jupp Götz hat Bekannte, die den finanziellen Druck, die Selbstzweifel und die quälende Ungewissheit nicht länger ertragen und ihren Job als Berufsmusiker an den Nagel gehängt haben. Familienväter mit Kreditverträgen sind dabei oder Schlagzeuger, die keine Chance haben, als Solokünstler aufzutreten. Doch auch für ihn ist die Unsicherheit noch immer ein Faktor. Als Anfang Juli nach gut einjähriger Durststrecke tatsächlich wieder erste Jobangebote kommen – keine großen Agenturaufträge wie früher, eher Hauskonzerte und Geburtstagsfeiern mit höchstens ein paar Dutzend Zuhörern –, da zweifelt der jüngste Spross einer eingefleischten Musikerfamilie sogar daran, ob er das alles überhaupt noch kann oder seine Bühnenpräsenz längst der Pandemie zum Opfer gefallen ist.

Zumindest diese Sorge ist unbegründet. Sobald Jupp Götz seine Gitarre auf den Schoß nimmt, leuchten seine Augen. Die Freude an der Musik strahlt aus jeder Pore seines Körpers und überträgt sich unweigerlich auf die Zuhörer. Ein gedankenverlorener Blick gen Himmel, und schon träumt man sich mit ihm hinaus in die Welt und das Leben jenseits von Corona.

2020 war nicht alles schlecht

Doch was Jupp Götz in diesen Zeiten wirklich ausmacht, ist sein Einfallsreichtum. „Sicher ist, draußen kannste spielen“, sagt der Musiker aus Buchholz. Kleine Konzerte an außergewöhnlichen Orten, mal im Wald, mal auf einem Ponton mitten auf der Sechs-Seen-Platte schweben ihm da vor. Ein Stipendium, das er im Nachgang des vom Kulturbüro der Stadt Duisburg und der Agentur ba coaching organisierten Benefizkonzerts „Let the music play“ erhielt, nutzt er für spontane Sonnenuntergangsgigs am Rhein. „Einen schönen Sonnenuntergang zu sehen ist etwas sehr Erhabenes – und ein Stück Normalität“, findet Jupp Götz, der die Konzerte auf der Rheinpromenade kurzfristig bei Facebook ankündigt, solange das Wetter es zulässt. „Die Leute sollen diesen Moment genießen und ich spiele quasi die Filmmusik dazu.“

Kreativ: Konzert auf einem Ponton mitten in der Sechs-Seen-Platte

Die winzigen Wohnzimmerkonzerte will Jupp Götz sogar langfristig etablieren. Schließlich haben die Freudentränen seiner Zuhörer dem Gitarristen dabei geholfen, selbst in der Pandemie noch etwas Positives zu sehen: „Als Musiker habe ich die buntesten Sachen erlebt. Das jetzt, das ist schon eine besondere Zeit. Es war nicht alles toll, aber eben auch nicht alles Horror, sondern irgendwas dazwischen.“

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