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Perfekte Kaffeehauskultur in Reinform

Zuerst ist da nur der Duft. Er hüllt jeden Besucher ein wie eine warme Umarmung. Es riecht wie sonntags bei Oma, nur viel intensiver. So manches Rezept dürfte auch älter als jede Großmutter sein. Denn in der Backstube des Familienunternehmens Dobbelstein wird schon seit mehr als 150 Jahren gezaubert, die Konditorei ist die älteste des Ruhrgebiets.

Torten in fünfter Generation

Am Tortenposten türmen sich Kuchenböden, geröstete Mandeln und Haselnüsse. Eine Handvoll Torten bekommt gerade ihre dicke Sahneschicht, auf dem Gaskocher rührt eine Mitarbeiterin im Kupferkessel das Gelee für den Erdbeerkuchen. Was hier gebacken und verziert wird, landet später im Kö-Café, in der Filiale am Kalkweg oder im Stammhaus am Sonnenwall, das es schon seit 1949 gibt. „An einem einzigen Sonntag gehen über hundert Torten raus“, sagt Heike Dobbelstein nicht ohne Stolz.

Bereits in fünfter Generation führt die 54-Jährige gemeinsam mit ihrer Schwester Anja das Traditionsunternehmen. Beide Frauen wollten den elterlichen Betrieb gerne übernehmen, also teilte der Vater das Erbe auf: Konditormeisterin Heike übernahm 2004 die Backstube und das Kö-Café, Konditoreifachverkäuferin Anja dafür das Stammhaus am Sonnenwall. Inzwischen gehört auch noch ein Café am Kalkweg im Duisburger Süden dazu – Heike Dobbelstein konnte einfach nicht widerstehen, als sie 2014 die Möglichkeit bekam, ihren ehemaligen Ausbildungsbetrieb, die Konditorei Limper, zu übernehmen.

Dabei war ihr Traumberuf eigentlich ein anderer. Sie wollte Hotelfachfrau werden, aber das scheiterte am fehlenden Abitur und an den Fremdsprachenkenntnissen. „Also dachte ich an die Hotelpatisserie, um in der Welt rumzukommen“, erzählt die Chefin. Der Plan ging auf: Fünf Jahre arbeitete Heike Dobbelstein im Ausland, dann machte sie ihren Meisterbrief und kam endlich nach Hause.

Heute versorgt sie die Duisburger in der Weihnachtszeit bergeweise mit Baumkuchen, Stollen und Spekulatius, im Frühling und Sommer kommen locker-leichte Torten auf den Tisch. Doch trotz des Erfolgs packt die Chefin in der Backstube noch immer mit an, „wenn’s mal knapp wird“, wie sie sagt. Allein in der Backstube sind zehn der insgesamt 45 Mitarbeitenden beschäftigt, doch Nachwuchsprobleme gibt es auch in diesem Handwerk. Der Arbeitsbeginn um fünf Uhr morgens – schon um 10.30 Uhr muss fürs Tagesgeschäft alles im Laden sein – und die Wochenendschichten schrecken junge Leute ab. „Dabei ist es eine schöne Arbeit“, findet Heike Dobbelstein. „Die Hände sind immer in Bewegung und man steht nicht stur an einer Stelle.“ Am liebsten arbeitet sie selbst am Tortenposten, macht Sahne- und Hochzeitstorten, um sich kreativ auszutoben.

„An den großen Fenstern und auf der Terrasse sitzen die Leute wie im Kino, sie wollen gucken.“

Heike Dobbelstein

Nebenan hinter der Glaswand liegt der Duft von Schokolade schwer in der Luft. Ein paar Dutzend Pralinen, mit beinahe flüssigem Salzkaramell gefüllt, laufen gerade durch die Schokoladenüberziehmaschine. Die Chefin persönlich malt mit routiniertem Schwung eine Verzierung aus weißer Schokolade, bevor die süßen Häppchen weiter in den Kühltunnel rattern. Fast alles hier ist echte Handarbeit: Erdbeeren werden von Hand geschnitten, Trüffel werden mit der Hand gerollt, jedes kleine Törtchen wird einzeln mit Sahnehäubchen garniert.

Süße Ruhrgebiets-Hommage

Und so mancher Verkaufsschlager ist beinahe schon so alt wie Heike Dobbelstein selbst. Der „Duisburger Dreck“ zum Beispiel, eine Art besonders edler Schoko-Crossies, oder die „Kohle Nuss 3“, eine Mischung aus Nougat- und Marzipanhäppchen mit besonders hohem Mandelanteil. „Die hat mein Vater vor Jahrzehnten ins Leben gerufen, als Duisburg noch richtig schmuddelig war“, erinnert sich die Konditorin an den Ursprung der süßen Ruhrgebiets- Hommage.

Die kleinen Leckereien werden zwar auch im Kö-Café auf der Königstraße verkauft, der Schwerpunkt hier liegt aber – im Gegensatz zum Stammhaus mit seinen Pralinen, der Bruchschokolade und dem Teegebäck – auf den verschiedensten Kuchen und Torten. Seit über 40 Jahren ist das Café schon am Platz, die Theke im Eingangsbereich geradezu legendär. Ob Spanische Mandelcreme, Herrentorte oder simpler Erdbeerkuchen, hier gibt es alles, was das Herz begehrt – und das in einer traditionellen Atmosphäre, die an die Wiener Kaffeehauskultur erinnert. Man sitzt an schwarzen Marmortischen, Stuck an der Decke, an den Wänden eine samtige Blumentapete und Lampen im Dreißiger-Jahre-Stil. 

„An den großen Fenstern und auf der Terrasse sitzen die Leute wie im Kino, sie wollen gucken“, weiß Heike Dobbelstein die Premiumlage gegenüber dem Forum zu schätzen. Sie selbst legt Wert auf ordentliches Porzellan, auf „Kaffee im ollen Silberkännchen, denn darin bleibt er warm“. Und das ist wohl der größte Unterschied zu den modernen Cafés, die überall aus dem Boden schießen: „Das eine ist Lifestyle“, sagt die Kaffeehausbetreiberin, „das andere ist alte Kultur.“

Handarbeit und Technik

Trotzdem ist auch bei den Dobbelsteins natürlich längst nicht mehr alles, wie es 1858 bei der Gründung der Konditorei Friedrich Dobbelstein auf dem Burgplatz war. Es gab diverse Umzüge, Erweiterungen und Umbauten, aber auch die Arbeit an sich hat sich verändert. Bei aller Handarbeit erleichtert in der Backstube doch die Technik das Leben: Ein Gärschrank größer als so manche Vorratskammer sorgt mit Wasserdampf und Temperatur für ideale Hefeteigbedingungen, im Etagenofen kann oben das Baiser abgeflämmt werden, während – theoretisch – unten bei 200 Grad das Schwarzbrot backt, und in den Stikkenofen vom Format eines Kleiderschranks werden gleich ganze Drahtgestelle voller Spekulatius gefahren.

Der einstige Knochenjob ist leichter geworden. In Drahtgestellen kann das Gebäck direkt vor den Ofen gerollt werden, der Kneter übernimmt den Teig, das Mehl wird nur noch in 25-Kilo-Säcken geliefert. Und so ist
die größte Revolution wohl eine geschlechterspezifische: Inzwischen arbeiten in der Backstube mehr Frauen als Männer. „Für meinen Opa war es noch unvorstellbar, dass eine Frau den Beruf ausübt“, sagt Heike Dobbelstein lachend.

Nackter Kuchen im Trend

Die heutige Chefin kämpft mit ganz anderen Problemen. Auch für ihre Produkte sind die Rohstoffpreise in letzter Zeit teils um zehn Prozent gestiegen. Für die Weitergabe der Preissteigerungen haben nur wenige Kunden Verständnis. Selbst das Bemühen um Nachhaltigkeit, das Heike Dobbelstein nach Möglichkeit durch die Verwendung saisonaler und regionaler Zutaten in ihrer Backstube umsetzt, kommt nicht bei jedem gut an. „Für manche Kunden gehört Erdbeerkuchen zu Ostern dazu, auch wenn es noch gar keine heimischen Erdbeeren geben kann, weil das Fest so früh wie in diesem Jahr ist. Wir müssen dann abwägen, ob wir den Kunden diesen Gefallen tun oder unserer Linie treu bleiben wollen.“

Andere Kundenwünsche erfüllt die Konditorin dagegen gerne, schließlich bleibt auch ihr Handwerk von Trends nicht verschont. „Statt der mächtigen Buttercreme wie früher bei Oma sind heute leichtere Torten und Obsttorten beliebt. Sanddorn war da der letzte Trend“, weiß Heike Dobbelstein, die neue Kreationen am liebsten gemeinsam mit dem ganzen Team entwickelt. „Und ihre Hochzeitstorten wollen die Leute nicht mehr dick eingedeckt, mit Marzipanrosen garniert, sondern als ‚naked cake‘, also den nackten Kuchen, dekoriert mit Obst und echten Blumen.“ Das zartschmelzende Salzkaramell, das in der Backstube gerade durch die Schokoladenüberziehmaschine läuft, das wollte vor zwei Jahren übrigens auch noch keiner haben.

Kilometer 3

Das ist die Strecke, die alle Kuchen und Torten von der Backstube der Konditorei Dobbelstein in Duisburg-Neuenkamp bis ins Kö-Café zurücklegen müssen. Frischer geht es kaum.
Hier legt die Chefin noch selbst Hand an: Konditormeisterin Heike Dobbelstein führt das Traditionsunternehmen in fünfter Generation – und steht in der Backstube am liebsten am Tortenposten.
Der einstige Knochenjob ist leichter geworden: Inzwischen zaubern in der Backstube der Konditorei Dobbelstein mehr Frauen als Männer die süßen Leckereien,
Trotz moderner Technik steckt in Pralinen, Baumkuchen und Co. noch viel Handarbeit.

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