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In Gedanken unter Tage

Als Wilfried Brücksken vor einer Wand mit alten Helmen steht, verwandelt er sich. Soeben hat sich der 73-Jährige noch als Rentner aus Rheinhausen vorgestellt. Doch jetzt ist er in Gedanken wieder der Bergmann, der unter Tage die Kohle abbaut. Der nach der Schicht mit pechschwarzem Gesicht in die Waschkaue geht. Der sich ein Arschleder über die Hose zieht, damit er sich den Allerwertesten nicht aufscheuert. „In diesen Räumen stecken so viele Erinnerungen“, sagt Brücksken. Er deutet auf die Helme. „Die unterschiedlichen Farben haben die Hierarchie in der Zeche gezeigt“, erklärt Brücksken. Ein Neubergmann schützte sich mit dem grünen Modell. Wer einen weißen Helm trug, hatte sich bis zum Steiger hochgearbeitet.

Ein Museum als Erinnerung

Brücksken steht in der Bergbausammlung. Am Bergheimer Wasserturm hat der „Förderverein für Bergbaugeschichte im Duisburger Raum“ ein Zuhause für 1.200 Exponate gefunden. „Wir wollen unseren Nachkommen mit dieser Ausstellung zeigen, wer die Region geprägt hat“, sagt Brücksken. Er ist seit 2002 Vorsitzender des Vereins und führt regelmäßig Gruppen durch die Räume. Bis zu 20 Schulklassen besuchten die Bergbausammlung pro Jahr. „Seit dem Beginn der Corona- Pandemie war es nur noch eine“, sagt Brücksken und seufzt. Die Vereinsmitglieder würden gerne wieder häufiger die Türen öffnen und sehen, wie sich Seniorengruppen und Kinder an den Schaukästen mit den bis zu 300 Millionen Jahre alten Mineralien die Nasen plattdrücken. So war es nämlich vor der Pandemie.

Bergbau ist Familientradition

Brücksken kann an jeder Station die passenden Geschichten erzählen. Dass er ein Bergbaulexikon auf zwei Beinen ist, verwundert nicht. Mehrere Generationen seiner Familie haben unter Tage malocht. Der Opa war Bergmann, der Vater ebenso. „Auf den Familienfeiern haben die Männer zu später Stunde immer über den Pütt geredet“, erzählt Wilfried Brücksken. „Und ich habe mit großen Ohren gelauscht.“

Der gebürtige Moerser begann als 14-Jähriger seine Ausbildung. Bis 1973 verdiente er sein Geld in Rheinhausen, dann musste die Zeche Mevissen schließen. Brücksken arbeitete fortan in Kamp-Lintfort auf Rossenray und Friedrich Heinrich. 1998 ging der Reviersteiger schließlich in Ruhestand – mit gerade einmal 50 Jahren. „Ich hatte schon länger gemerkt, dass es mit dem Kohlebergbau im Ruhrgebiet bald vorbei sein wird“, sagt Brücksken. 2018 war es so weit. Da endete mit der Schließung von Prosper- Haniel in Bottrop ein Stück deutsche Industriegeschichte. Wilfried Brückskens Sohn gehörte zu den Bergleuten der letzten Schicht. „Das waren traurige Tage“, sagt der Vereinsvorsitzende.

Sein Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Bergbau in Erinnerung zu halten. Die Initiative ging einst von Joachim Schulze aus. Brückskens Vorgänger als Vereinsvorsitzender hatte einen guten Draht zu Bernhard Kochanneck, der die Baumarktkette Götzen leitete und die Sammlung sponserte. Gemeinsam trugen die Männer alles zusammen, wofür die alten Bergleute keine Verwendung mehr hatten – von Butterbrotdosen über Schutzhelme bis zu Grubenlampen. 1983 eröffnete die erste Ausstellung im Lichthof der stillgelegten Zeche Diergardt in Hochemmerich.

„In diesen Räumen stecken so viele Erinnerungen.“

Wilfried Brücksken

Es gab viele Rückschläge: 1993 zerstörte ein Brand rund 95 Prozent der Ausstellungsstücke. Schulze und seine Mitstreiter erholten sich schnell von dem Schock und bauten in einem Jahr eine neue Sammlung auf. 1998 ging die Firma Götzen in Konkurs, der Sponsor brach weg. Aber auch das war kein Grund, alles aufzugeben. Die Sammler gründeten einen Förderverein, dem damals auch Brücksken beitrat.

Es begann die Suche nach einem neuen Ausstellungsort. „Wir sind bei der Caritas in Rheinhausen untergekommen“, erzählt Brücksken. „Der Verband war wie eine Mutter zu uns.“ Der Verein musste weder Miete noch Heizkosten zahlen. Allerdings benötigte die Caritas die Ausstellungsräume ab 2007 selbst. Somit musste die Bergbausammlung wieder umziehen. In einer ehemaligen Altentagesstätte fanden die Vereinsmitglieder auf rund 350 Quadratmetern den nötigen Platz.

„Wir wollen die Sammlung aber nicht noch weiter vergrößern“, sagt Brücksken. „Hier passt nicht mal mehr eine Streichholzschachtel rein.“ Wenn der Verein doch mal eine alte Bergmannsuniform geschenkt bekommt, gibt er sie an Museen oder private Sammler weiter. „Wir möchten nicht, dass etwas im Kleidercontainer landet“, sagt Brücksken.

Historische Belege

Er brächte es nicht übers Herz, etwa die alten Zechenbücher aus der Frühphase des 20. Jahrhunderts wegzuwerfen. „Da ist der komplette Schriftverkehr zwischen Betriebsleitung und Bergbaubehörde dokumentiert“, sagt Brücksken. Er blättert in einem Buch, Sütterlinschrift ist auf den vergilbten Seiten zu erkennen. In einem weiteren Raum zeigt Brücksken alte Lohnkarten. „Mit der haben die Bergleute ihr Bargeld bekommen“, erklärt der Experte. Er kannte auch Kollegen, die sich eine Ersatzkarte besorgten, dort ausgezahlte Beträge eintrugen und diese der Ehefrau vorlegten. „Mit der Differenz konnten sie dann den Deckel in der Kneipe bezahlen“, sagt Brücksken.

Förderband mit Bonbons

Seine Führungen enden in der Regel bei den Modellbauten. Das mittlerweile verstorbene Vereinsmitglied Heinz Coerding hatte im Ruhestand ein neues Hobby für sich entdeckt. So baute er die Zeche Diergardt maßstabsgetreu wieder auf. Brücksken legt einen Schalter um und sofort beginnt der Kohleabbau wieder. Die Förderkörbe fahren rauf und runter, die Förderbänder rollen an.

Allerdings transportieren die Bänder in der Rheinhauser Bergbausammlung keine Kohle, sondern Bonbons für die jungen Besucher. Brücksken schaut in eine Schale mit Süßigkeiten. „Es wäre schön, wenn wir hier bald wieder Bonbons fördern könnten.“

INFORMATIONEN

Wenn es die Pandemielage zulässt, hat die Dauerausstellung immer donnerstags von 9 bis 14 Uhr sowie jeden ersten Sonntag im Monat von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen gibt es unter: bergbausammlung.de


Auch Butterbrotsdosen gehören zur Sammlung.
1.200 Exponate befinden sich auf 350 Quadratmetern.

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