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Eine Reise durch Raum und Zeit

Das Ehepaar Ria Thiaw und Reiner Brandtner lebt im geschichtsträchtigen Dreigiebelhaus. Auf 80 Quadratmetern erleben befreundete Besucher eine kulturelle Entdeckungstour.

Wer in Duisburg eine Weltreise erleben will, muss 25 Stufen bewältigen. Sie führen hin­auf zur Wohnung von Ria Thiaw und Reiner Brandtner. Auf rund 80 Quadratmetern lebt und arbeitet das Ehepaar im Dreigiebelhaus. Zur Wohnung gehören ein kleines Badezim­mer, eine kleine Küche mit Esstisch, ein klei­nes Schlafzimmer. Hauptsächlich spielt sich das Leben der beiden aber in einem großen Raum ab, der durch Regale in einen Wohn­ und einen Arbeitsbereich unterteilt ist. In je­dem Winkel dieses Raumes gibt es etwas zu entdecken – vor allem Souvenirs aus fernen Ländern: Gäste können sich der indischen Mythologie nähern, indem sie Figuren der Götter Ganesha und Shiva betrachten. An der Wand hängt ein Kalender, der mit dem chinesischen Neujahrsfest beginnt. Und auf dem Schreibtisch liegt ein Füllfederhalter mit Verzierungen im russischen Stil. Zudem dominieren große Marionetten und Zupfin­strumente den Raum — von der Sitar bis zum Banjo. 

Menschen mit einem außergewöhnlichen Einrichtungsgeschmack sind oft auf der Su­che nach einer besonderen Wohnung. Und die haben die beiden 61-Jährigen gefunden. Seit sechs Jahren leben Ria Thiaw und Reiner Brandtner im Dreigiebelhaus.  

Ein Raum voller Geschichten: das Wohnzimmer von Reiner Brandtner und Ria Thiaw.

Das Gebäude in der Altstadt gilt als das äl­teste Wohnhaus in Duisburg. 1536 wurde es erstmals urkundlich erwähnt. Der Kar­tograph Johannes Corputius hat das Drei­giebelhaus in seinem Stadtplan aus dem Jahr 1566 eingezeichnet. Im 17. und 18. Jahrhundert bewohnten Nonnen aus dem Zisterzienserinnen-Kloster in Duissern das Backsteingebäude. Spätere Nutzungen als Textilfabrik, als Höhere Töchterschule und als Atelier zeugen ebenfalls von einer be­wegten Geschichte.  

Bei einer Tasse Kaffee erzählt Reiner Brandt­ner von seiner persönlichen Beziehung zum Dreigiebelhaus. „Das Gebäude hat mich schon immer fasziniert“, sagt der gebürti­ge Wanheimerorter. Als Kind bekam er mit, wie die Stadt das Dreigiebelhaus erwarb.  

Angesichts des zunehmenden Verfalls ka­men Stimmen auf, die dem Gebäude keine große Zukunft gaben. Die Skeptiker soll­ten sich täuschen: Am 26. Oktober 1976 eröffnete Oberbürgermeister Josef Krings das restaurierte Dreigiebelhaus. Hinter den Backsteinmauern lebte auch der Duisburger Bildhauer Kurt Budewell. Im Laufe der Zeit verliebten sich Reiner Brandtner und seine Frau in das Dreigiebelhaus. Der gemeinsa­me Traum: eine Wohnung im denkmalge­schützten Gebäude an der Nonnengasse 8.  

Besonderer Platz für die Nautilus.

Es war im Sommer 2012, als der Traum allmählich Wirklichkeit wurde. Ria Thiaw und Reiner Brandtner lebten damals noch in Großenbaum. Sie bekamen Wind davon, dass die Stadt Wohnungen im Dreigiebel­haus an Privatleute vermieten wollte. Vorher hatten Wilhelm-Lehmbruck-Stipendiaten darin gelebt. Das Ehepaar bewarb sich – und bekam den Zuschlag. Ende 2012 folgte der Umzug. „Die Stadt hat Mieter gesucht, die eine künstlerische Ader haben. Wir haben in das Schema gepasst“, sagt Ria Thiaw. „Schließlich haben mein Mann und ich De­sign studiert.“ In dieser Branche verdienen sie auch immer noch ihr Geld. Auf welchen Bereich sich Ria Thiaw spezialisiert hat, wird bei einem Blick auf ihren Arbeitsplatz deut­lich: Vor dem linken Fenster steht ihre Näh­maschine. Scheren, Garne, Stoffe hat die Modedesignerin jederzeit zur Hand.  

Hinter ihrem Rücken befindet sich der Ar­beitsplatz ihres Mannes. Mit einer Drehbank fertigt Reiner Brandtner Design-Prototy­pen, die er zuvor am Computer in 3D-Tech­nik entworfen hat. Seit langer Zeit sind Brillen sein Spezialgebiet. Mittlerweile ent­stehen im Dreigiebelhaus jedoch auch Pro­totypen für edle Füllfederhalter. „Die werden dann von unseren Auftraggebern produ­ziert“, sagt Reiner Brandtner. Die eleganten Schreibgeräte landen später in den Händen von berühmten Personen. Die Produktideen aus dem Dreigiebelhaus werden unter dem Namen Nemo-Design entwickelt. Es bezieht sich auf Kapitän Nemo aus dem Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“. Diesem Werk von Jules Verne haben Ria Thiaw und Reiner Brandtner auch ein Denkmal gesetzt. In einer Vitrine steht ein Modell der Nautilus, jenem U-Boot, mit dem die Romanfigur auf Tauchstation ging. Es handelt sich dabei um eine Leihgabe seines Freundes Hans-Peter Misamer. Er hat die Nautilus detailgenau als Modell nachgebaut. Misamer gehört zu den Freunden und Künstlern, die im Dreigiebel­haus ein- und ausgehen. 

Ria Thiaw an der Nähmaschine

Ein Einrichtungsstück, das in vielen Wohn­zimmern zur Standardausstattung gehört, fehlt bei Ria Thiaw und Reiner Brandtner: Auf einen Fernseher verzichten die beiden ganz bewusst. „Wir treffen uns in der Frei­zeit lieber mit Freunden, um zu musizie­ren“, sagt Reiner Brandtner. Er holt seine Sitar aus dem Schrank, setzt sich auf den Teppich und zupft die Saiten. „Hier klingen die Instrumente viel schöner als in der alten Wohnung“, sagt seine Frau. Die sogenannte Kölner Decke mit ihren Holzbalken und den darüberliegenden Dielen sorgt für die au­ßergewöhnliche Akustik.  

Mit dem Besenstiel an die Decke klopfen­de Nachbarn gibt es nicht. Im Gegenteil. Es wohnen noch weitere Musiker im Drei­giebelhaus, die sich über Sitar-Klänge nicht beschweren. „Außerdem spielen wir ja nicht die ganze Nacht durch“, sagt Ria Thiaw. Das Ehepaar geht früh ins Bett, um am nächsten Morgen zeitig am Arbeitsplatz zu sein. „Weit haben wir es ja nicht“, sagt Reiner Brandtner und lacht. Vom Bett zum Schreibtisch sind es nur zehn Schritte – und wenn er den Blick schweifen lässt, kann er sich auch schnell nach Indien, China oder Indonesien versetzen. 

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