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Zocken für die Gesundheit

Veronika Demykina balanciert in einem schlichten Büroraum der Universität in Duisburg auf einem schmalen Holzbrett. Das Brett liegt flach auf dem Boden, nur ein paar Zentimeter hoch. Trotzdem hat die 21 Jahre alte Studentin das Gefühl, dass sich unter ihr eine tiefe Schlucht auftut. Auf dem Kopf trägt sie eine Virtual-Reality-Brille. Statt Teppichboden, Schreibtischen, Sofa und Regalen sieht sie eine weite Land­schaft von einer wackligen Seilbrücke aus. Was ihre Augen wahrnehmen, das beein­flusst die anderen Sinne der Studentin. Der visuelle Reiz ist so stark, dass sich bei einem Schritt an die Kante des Holzbretts tatsächlich ein Gefühl von schwindelerre­gender Höhe einstellt.

Das sogenannte Planken-Experiment ist ein klassischer Versuchsaufbau in der Virtual-Reality-Forschung, wie Prof. Dr. Maic Masuch erklärt. Der 51-Jährige ist Professor für Medieninformatik mit dem Schwerpunkt Entertainment Computing an der Universität Duisburg-Essen und damit Veronika Demykinas Chef. Zusammen mit seinen Mitarbeitern und Studenten forscht Masuch zu Videospielen und Virtual Reali­ty. Bevor er 2008 an den Duisburger Cam­pus kam, promovierte er an der Universität Magdeburg über Computeranimationen. Dort übernahm Masuch 2002 Deutschlands erste Professur für Computerspiele. „Der erste Ruf war in gewisser Weise eine Be­lohnung dafür, dass wir ein Forschungsfeld erschlossen haben, das die Informatik bis dato gar nicht beachtet hat“, sagt er.

Wissenschaft und Gesellschaft belächel­ten Videospiele lange und Prof. Dr. Maic Masuch musste viel Überzeugungsarbeit leisten, um Vorurteile auszuräumen. Häufig fragten Menschen ihn, ob seine Studenten Scheine fürs Computerspielen bekommen würden? „Nein!“, sagt er: „Sie bekommen einen Schein für das Entwickeln von Com­puterspielen.“

Spiele zu programmieren, ist ein komple­xer Prozess, der alle Bereiche der Informa­tik und auch andere Disziplinen wie etwa die Psychologie berührt. Das zeigt auch das Planken-Experiment, wo es unter an­derem um das Thema Höhenangst geht. Bei der Forschung von Professor Masuch geht es eben nicht primär um Videospie­le wie „Diablo“, „Grand Theft Auto“ oder „World of Warcraft“. Er selbst spricht von Technologietransfer. Wie kann man aus einer Mensch-Maschine-Interaktion, die es in einem Computerspiel gibt, lernen? Wo verspricht diese Technik in anderen Bereichen wie der Medizin einen Nutzen? Es sind Fragen, mit denen sich die Wis­senschaftler im Entertainment Compu­ting auseinandersetzen. Und mit ihnen beschäftigt sich Maic Masuch auch bei sei­nem aktuellen Forschungsprojekt, das vom Land Nordrhein-Westfalen und von der Eu­ropäischen Union gefördert wird. „VR-RLX – Integriertes Virtual Reality-System zur Reduktion von Angst und Sedativa in der pädiatrischen Radiologie“ heißt der Titel. So akademisch formuliert der Titel auch klingt, die Idee dahinter ist alles andere als das. Kindern soll die Angst vor der Magnet­resonanztomographie (MRT) genommen werden.

Etwa ein Viertel der Kinder fürchtet sich derart vor der Untersuchung, dass Ärzte auf Beruhigungs- und Betäubungsmit­tel zurückgreifen müssen. Die enge Röhre und die lauten Geräusche, die eher an die Landebahn eines Flughafens oder an eine Fabrikhalle als an ein Krankenhaus den­ken lassen, machen den kleinen Patienten Angst. In dieser unbehaglichen Situation eine Stunde still zu liegen, fällt selbst Er­wachsenen häufig nicht leicht. Alleine am Universitätsklinikum Essen, mit dem Maic Masuch und sein Team bei dem Projekt kooperieren, sind es pro Jahr etwa 600 Kinder, denen Medikamente vor dem MRT verabreicht werden müssen.

„Wenn wir es schaffen, die Zahl zu halbie­ren oder sogar noch weiter zu senken“, erklärt Maic Masuch, „dann bewahren wir eine ganze Menge Kinder vor unnötigen Narkosen“. Sein Ansatz soll die Kinder nicht ruhigstellen, sondern sie ablenken und be­lohnen. Virtual-Reality-Brillen machen das möglich. Im MRT tragen die Kinder eine spezielle Datenbrille, die sie aus der engen Röhre des Geräts in eine virtuelle Welt be­fördert. Ein Szenario, das die Forscher pro­grammieren, ist ein weiter Sternenhimmel. Das Spiel erzählt den Kindern Geschichten über Sternbilder, die sie zu sehen bekom­men. Um die Geschichten zu hören, müssen die Kinder still halten – erst wenige Minuten und dann immer mehr. Zwei altbewährte Prinzipien aus Computerspielen kommen hier zum Tragen: Erfolge zu belohnen und den Schwierigkeitsgrad kontinuierlich zu steigern.

Bevor die Idee in die Praxis umgesetzt wer­den kann, müssen die Forscher aber noch ein Problem lösen: „Wir brauchen eine Brille, die für das MRT geeignet ist, das ist zurzeit die knifflige Herausforderung“, so Masuch. Dazu kooperieren die Informatiker mit Unternehmen aus der Medizintechnik und der Spieleindustrie. Prof. Maic Masuch schätzt, dass es in einem Jahr einen Proto­typ geben wird.

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