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Fernweh leben und die Heimat lieben

Schauinsland-Reisen feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Das Familien­unternehmen in dritter Generation gehört zu den nationalen Reiseriesen.

Der Kontrast fällt auf: Ein Unternehmen, das vom Fremdenverkehr lebt, liebt umso mehr seine Heimat. Nähe zählt. Und das bei einem Reiseveranstalter, der Jahr für Jahr 1,4 Millionen Menschen in die Frem­de schickt. Schauinsland-Reisen gehört zu den ganz Großen in der Reisebranche. Rund 1,2 Milliarden Euro setzt man dank des großen Fernwehs der Deutschen um. Für die Firma selbst gilt seit nun 100 Jah­ren und in dritter Generation: Ob im Osten oder Westen, zu Hause ist es am besten. Zu Hause fühlt man sich in Duisburg. Erst in Marxloh und seit 2006 am Innenhafen. 

Im Februar weihte Chef Gerald Kassner, der Enkel des Gründers Erich Kassner, mit seiner Mannschaft ein weiteres neues Ge­bäude mit 6.600 Quadratmetern auf der Stresemannstraße ein. Ein Geschenk, das man sich zum runden Geburtstag gemacht hat? Andreas Rüttgers, Leiter Touristik, schmunzelt erst und sagt dann ernster: „Nein, wir sind einfach so schnell gewach­sen, dass wir für unsere inzwischen 420 Mitarbeiter mehr Fläche brauchten.“ Die Entscheidung für Duisburg hat der Fir­menchef sehr bewusst getroffen, und zwar mehr mit dem Herzen als mit kaltem Ver­stand. „Für uns wäre steuerlich vermutlich ein Umzug in die Niederlande sinnvoller gewesen“, meint Andreas Rüttgers nüch­tern.  

Für Firmenchef Kassner gehören jedoch die Stadt und Schauinsland-Reisen zu­sammen wie der Wind und das Meer. Die „Ich bin dann mal weg“-Firma sieht ihre neue Zentrale nicht zuletzt als Bekennt­nis zum Standort. Wer baut, will bleiben.  

Seit Februar startklar: die neue Firmenzentrale am Innenhafen.

Dass solche Herzensangelegenheiten kei­neswegs von geschäftlichem Nachteil sein müssen, fügt Andreas Rüttgers hinzu: „Wir halten zu unseren treuen Partnern wie den Reisebüros oder vor Ort an den Urlaub­sorten. Wir haben das immer auch dann getan, wenn vielleicht mal ein günstigeres Angebot vorlag. Das hat sich für uns stets ausgezahlt. Denn im Ernstfall haben uns die Partner dann ebenfalls die Treue ge­halten.“

Das Unternehmen hat einen guten Ruf bei allen, die sich mit Urlaub auskennen: den Hoteliers, den Reisebüros und natürlich bei allen Sonnen- und Erlebnishungrigen. Das Logo mit den beiden orangen Händen, die eine Sonne bilden, leuchtet in Berlin so hell wie in Köln oder München. Doch ohne Duisburg geht es nicht.

Wie sehr der Klebstoff Heimat verbindet, das klingt so nebenher an. Das Interview mit Andreas Rüttgers ist fast beendet, über die eigene Insel auf den Malediven, die man in diesem Jahr eröffnen will, ist gesprochen. Über das wiedererstarkte Tür­kei-Geschäft ebenfalls und darüber, dass man den runden Geburtstag im größten Reisebüro der Welt, der Internationalen Tourismusbörse in Berlin, feiert, eben­falls. Dann sagt Andreas Rüttgers: „Das tut uns schon weh, wenn wir lesen, was für ein schlechtes Image Marxloh hat.“ Er könne das nicht bestätigen und die Mitar­beiter, die damals im Gründungshaus auf der Duisburger Straße gearbeitet haben, ebenfalls nicht. „Wir haben uns dort im­mer sicher gefühlt und wir hatten ein gu­tes Verhältnis mit allen Nachbarn, egal wo sie nun herkamen.“  Das Gefühl für die alte Heimat hat sich nicht verloren, auch wenn inzwischen die allermeisten Mitarbeiterin­nen und Mitarbeiter den Ursprung nur noch vom Hörensagen kennen. Wie sollte es auch anders sein? Der Stammsitz war das Wohnhaus der Familie Kassner, das man nach und nach umbaute und erweiterte. Gerald Kassners ehemaliges Kinderzimmer verwandelte sich später in sein Chefbüro. Familiensinn bleibt, so wie man nach Mo­naten noch Sand vom Strand in Mallorca im Reisekoffer findet.  

Gerald Kassners Großvater Erich gründe­te 1918 in der damals noch selbstständi­gen Stadt ein Transportunternehmen mit zwei PS. Das ist wörtlich zu nehmen: Zwei Pferde zogen den Leiterwagen. Umzugs­güter lagen meist darauf. An den Perso­nenverkehr wagte man sich das erste Mal in den 30er Jahren. Mit fünf Reisebussen fuhr man unter anderem Künstler durch Deutschland. Darunter auch die Fratellinis, eine bekannte Clownstruppe.  

Gerald Kassner, Inhaber von Schauinsland-Reisen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dann ver­wandelte es sich die Firma in ein Reise­unternehmen. Ab 1947 zunächst im Bus- und Pendelverkehr. Dann mit Doppeldecker in den Deutschland-Ur­laub. Das Wirtschaftswunder machte die Menschen beweglich. Finanziell und auch ferientechnisch. Die Fami­lie Kassner steuerte den Bewegungs­drang. Ganz im Sinne der fünfziger Jahre ging es gern in den Schwarz­wald:  zum Schauinsland. 1.250 Me­ter hoch und schon dem Namen nach Fernweh verheißend. Erich Kassner Junior, der Sohn des Gründers,  machte den Sehnsuchtsort erst zum Firmen-und inzwischen auch zum Marken­namen. Das Logo mit den stilisierten Händen verbindet so ziemlich jeder mit Urlaub, allerdings nicht mehr mit dem Schwarzwald. 1959 übernahm er-ich Kassner mit seiner Frau Doris das Geschäft in zweiter Generation.  

Der Jubiläumskatalog zum 100-Jährigen.

Schnell erkannte das Ehepaar: Die Deutschen zieht es noch weiter in den Süden. Nach Italien und Spanien. Sie buchten Plätze in Flugzeugen, reservierten Hotelzimmer und packten damit den Koffer für Pauschalreisen. Immer weiter zogen sich die Kreise: Türkei, Griechenland, Tunesien, Marokko, die Malediven. Immer größer wurde das Unternehmen. Bis selbst der findigste Ar­chitekt kein Büro mehr aus dem Stammhaus in Marxloh herausschnitzen konnte. 2006 zog man mit 60 Mitarbeitern an die Strese­mannstraße. 2011 wurde die erste Erweite­rung notwendig. Inzwischen arbeiteten über 200 Frauen und Männer hart daran, dass möglichst viele Urlauber sich sorglos ent­spannen können.  

Jetzt kam der nächste Bürotrakt hinzu. Denn mit dem Unternehmen geht es so steil auf­wärts wie mit einem Flugzeug nach dem Abheben von der Startbahn. Inzwischen ar­beiten 420 Frauen und Männer am Standort Duisburg. Seit 2016 ist man sogar an einer ei­genen Fluglinie, der Sundair, beteiligt. Die Sundair bringt seit 2017 sonnenhungrige Urlauber in den Süden. Eine weitsichti­ge Entscheidung, wie sich an der Plei­te von Air Berlin zeigte. Der Luftweg ist eine Hauptschlagader im Geschäft. Über 6.500 Flüge pro Woche bucht Schauins­land-Reisen während der Ferienzeit.

Fernweh-Beauftragte: Christian Kirchner und Sina Rösner aus dem Produktmanagement.

Und trotzdem, auch wenn man zu den Überfliegern gehört, abgehoben wirkt im Unternehmen niemand. „Ein gutes Hotel erkennt man am Empfang“, hat Gerald Kassner vor Jahren in einem Zeitungsin­terview gesagt. Ein gutes Unternehmen ebenfalls. Wer am Innenhafen zu Gast ist, genießt die Freundlichkeit der Mitarbeiter (nicht nur am Empfang), das Betriebskli­ma, so sonnenwarm wie ein Tag auf Fu­erteventura, ist überall spürbar. Irgend­wie familiär, auch wenn man inzwischen eine Großfamilie ist. „Die Konkurrenz hat sich immer darüber gewundert und ge­sagt, dass wir nicht so bleiben, wenn wir erstmal 200 Mitarbeiter haben. Jetzt be­schäftigen wir 400 Leute, und es ist im­mer noch so“, sagt Andreas Rüttgers. 

Das hat mit der bodenständigen Freund­lichkeit von Chef Gerald Kassner zu tun. Und mit seiner Mutter Doris, die 2016 überraschend nach der ITB verstarb. Doris Kassner, direkt in der Ansage und von Her­zen ihren Leuten zugeneigt, lebte dieses Wir vor. Dieser gute Geist ist geblieben, er wirkt keineswegs als Führungsstrategie. Der Familiensinn ist nichts weniger als eine Charaktereigenschaft. Wie kann es auch anders sein bei einer Firma, die ihre Reisebusse in den 1950er Jahren Heinerle oder Heidi nannte? Wer wäre darüber über­rascht bei einer Firma, die zu Ostern Jahr für Jahr ein Turnier im Eiertitschen veran­staltet? Die Startliste reicht vom Chef bis zum Azubi. Bei der Weihnachtsfeier haben dann die neuen Mitarbeiter ihren Auftritt. Nach Feierabend studieren sie gemeinsam ihr Programm ein. Wer Ferien organisiert, darf selbst entspannt sein.  

Teamgeist spielt eine große Rolle im Unternehmen. Selbst in der Pause am Ball: Carlos Pariente Herrero (vorne links), Hakan Boruk (hinten links), gegen Björn Conrad (vorne rechts) und Jochen Sauerland (hinten rechts).

Wer so viele Menschen aus der Fremde zum Arbeiten nach Duisburg holt, sollte ih­nen ein Gefühl von Heimat vermitteln. Zum Familiensinn gehört das Gefühl der Verant­wortung, auch für den Standort. Schauins­land schaut auf die Stadt. Andreas Rüttgers erklärt das nüchtern: „Wir wollen, dass sich unsere zugezogenen Mitarbeiter in ihrer neuen Heimat wohlfühlen.“ Aber ehrlich, das ist nicht mal die Hälfte der Wahrheit! Man hat einfach ein Faible für Duisburg.  

Dass der MSV ohne seinen wichtigsten Sponsor nicht mehr in der Zweiten Liga spie­len würde, weiß jeder. Dass Gerald Kassner keineswegs in Zebra-Bettwäsche schläft, kommt da schon überraschender: Der Inha­ber sieht jedoch, dass der Verein zur Seele der Stadt gehört. Die gilt es nach Kräften zu schützen. Für den Zoo engagiert sich das Unternehmen. Die Kattas hatten es Doris Kassner besonders angetan. Inzwischen kümmert man sich nicht nur um die Kattas am Kaiserberg. Sie sind das Maskottchen geworden. Im Verbund mit Ingo Flamingo und Adele Garnele.

Die CD „Kattas Welt“ mit Kinderliedern, ge­sungen von Markus Becker und Judith Lefeber, schaffte den Sprung in die Charts. Ein Musical bringt im Sommer „Katta und seine Freunde“ auf die  Bühne des Theaters am Marientor.

Und ja, die größte Sandburg der Welt – satte 16,68 Meter hoch und 3.500 Tonnen Sand schwer — hat man ebenfalls gebaut. Im Landschaftspark Nord wurde das Kunstwerk zur Pilgerstädte für über 400.000 Besucher. Die Nachricht vom Erfolg ging um die Welt, das Bild vom Weltrekord war selbst auf dem Times Square in New York zu sehen. Die Eintragung ins berühmte Guinness-Buch gelang im zweiten Versuch. Ein Jahr zuvor war die Burg kurz vor der Fertigstellung ein­gestürzt. Andere hätten gesagt: Wir haben’s wenigstens versucht. Gerald Kassner sagte: Dann machen wir es nächstes Jahr noch einmal und dann erfolgreich. 

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