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Dorfschönheit am Niederrhein

Wenn das Wetter schön ist, wenn die Radfahrer das Dorf auf der linken Rheinseite als Ausflugsziel entdecken, dann fährt Donato Grella auf dem Rheindeich vor. Schon bilden sich die Schlangen vor seinem Eiswagen. Die Bäume müssen noch kein Grün tragen. Die Spezialitäten schmecken auch mit nur einer Ahnung vom Frühling. Nur eben Sonne muss sein. Dann herrscht am Ufer des großen Stroms Hochbetrieb. Einheimische mischen sich mit „Zugereisten“ und Durchreisenden, die bevorzugt mit dem Rad den „Hotspot“ passieren.

„Donata, ja Donato“, sagt Pilita Beltran, die Vorsitzende des Baerler Bürger- und Heimatvereins, wenn sie von den Sehenswür­digkeiten ihrer Heimat schwärmt. Der Eis­mann am Rheindeich. Er ist eine Institution. Dort, wo der Blick über den großen Strom auf die mächtigen Schlote und Hallen von ThyssenKrupp fällt. „Viele Menschen mögen diese Aussicht. Hier trifft das Ruhrgebiet auf den Niederrhein“, sagt die Geschäftsführerin des Heimatvereins Brigitte Buchmann. Und ihre Kolleginnen aus dem Vor­stand nicken, das kontraststarke Bild vor Augen: das graue Duisburg und das grüne Baerl, über dem ein blauer Himmel strahlt mit weißen Tupfen von den Dampfschwaden aus den Kühltürmen.

Wobei eins klar sein muss: Baerl gehört sicher zum linken Niederrhein. Aber vielleicht nicht zu Duisburg. Offiziell schon. Doch das Herz sagt was anderes. Baerl ist der größte Stadtteil Duisburgs, mit eigenen Ortsteilen wie dem Streifendorf Binsheim oder Uettelsheim mit seinem malerischen See. Man merke: Baerl ist größer als Hamborn. Doch während dort 71.000 Menschen leben, sind es in dem größten Dorf der Stadt nur knapp 5.000. Im Jahr 1975 im Zuge der Gemein­dereform einverleibt. Das ist 40 Jahre her.

Luftkurort mit Geschichte

Aber nach wie vor sagen die Einheimischen: „Wir fahren nach Duisburg.“ Und damit meinen sie die Innenstadt. Und auch die Zugewanderten wie Brigitte Buchmann, die von Meiderich ins Grüne umzog, sagt: „Ich fahre nach Duisburg.“ Georg Kreischer, inzwischen 83 und der wohl mit Abstand kundigste Mensch der Heimatgeschichte, hat die „feindliche Übernahme“ miterlebt und beklagt sie noch immer. Wenigstens die Vorwahl 02841 durfte man behalten. Auf den Ortsschildern steht freilich „Duisburg“ und erst darunter in kleiner Schrift „Baerl“. Umgekehrt müsste es sein, findet Kreischer. Man fühlt sich ein wenig an das kleine gallische Dorf von Asterix und Obelix erinnert. Der Heimatkundler verweist dagegen viel lieber auf die große Geschichte der Ortschaft, die er in seinem Buch „ein liebenswertes Stück Niederrhein“ nennt. An Bodenfunde, die von Siedlungen der Römer im ersten Jahrhundert neuer Zeit­rechnung zeugen, erinnert er freundlich, aber bestimmt. Und Pilita Beltran kann erzählen, dass Baerl im vergangenen Jahrhundert Luftkurort war. Die Luft ist seit­her sicher nicht schlechter geworden. Die Zeitungsanzeigen aus den 1930er Jahren beschreiben das Dorf als „Perle“. Sie funkelt noch immer. Das Örtchen wirkt anziehend. Auf Siedler, die hier ihr Häuschen bauen. Nahe an der A42 und damit an der Großstadt. Doch immer noch im Grünen mit der geringsten Bevölkerungsdichte in Duisburg. Mit nach wie vor ländlichem Charme. Bauernhöfe statt Zechen. Einer dieser Höfe gehört Sibille Weyand und ih­rem Mann: der „Steinsche Hof“ am Rhein. Seit 1357 liegt er dort. Und seinen Namen erhielt er von einem großen Stein, den der Strom auf seiner Reise nach Rotterdam hier liegen ließ. Schulklassen buchen bei ihr Ausflugstage, berichtet sie. Damit die Kinder lernen, dass die Milch nicht aus dem Supermarkt kommt. Genießer gönnen sich einen Abstecher, um im Hofladen frisches Obst und Gemüse einzukaufen. Noch älter als der Bauernhof ist die Kirche, die man hier immer im Dorf lässt. Denn sie stellt so etwas wie den Mittelpunkt von Baerl dar. 1284 wurde sie erstmals erwähnt. Eine Perle am Niederrhein ist sie bis heute. Der beige Bau mit spitzem Turm ist mehr als ein Gotteshaus. Er ist Kulturort mit eigenem Konzertprogramm. Die „Baalschen Kraien“, die sangesfreudigen Krähen, finden in die­sem Zentrum eine Bühne. Der Mundartchor pflegt das Plattdeutsch. Doch die eigene Sprache der „Baalschen“ droht verloren zu gehen. Vorbei die Zeiten, das die Kin­der sie in der Schule lernen konnten. Hier dann auch ein Aussprachetipp für Externe: Baerl spricht man mit langem „a“ und nicht mit „ä“! Andere Traditionen verteidigt die Dorfgemeinschaft mit heißem Herzen. Das große Osterfeuer oder den Aufmarsch der rot-weiß uniformierten Sappeure beim Schützenfest. Die Leibgarde des Königs absolviert beim Umzug einen Hindernislauf. Die Nachbarn bauen den Schützen traditionsgemäß einige Hürden in den Weg. Ist irgendwie schräg, aber dann auch wieder typisch und kultig für den Niederrhein.

Flügel für die Windmühle

So wie die Windmühlen. Baerl hat gleich zwei: erstens die Lohmann'sche Mühle mit Bäckerei vor der Haustür — beides im Fami­lienbesitz. Diese „weiße Mühle“ der Familie Lohmann mit ihren Flügeln ist bereits ein Hingucker. Konkurrenz bekommt sie schon bald, denn die zweite Mühle, die Lohmühle nahe des Loheider Sees gleich an der Gren­ze zu Vierbaum, muss auf ihre Flügel noch warten. „Wir können dieses Jahr den sechs­ten und letzten Bauabschnitt der Restaurierung abschließen“, sagt Norbert Nienhaus sehr fachmännisch. Er ist der Vorsitzende des Lohmühle-Bauvereins. Seit 2008 hat man 300.000 Euro investiert, um das Stück Heimat wieder vorzeigbar zu machen. Die Mühlenflügel kommen dieses Jahr, und dann können auch die Mahlräder angetrie­ben werden, denn damit ist die Lohmühle komplett wiederhergestellt. Inklusive der alten Technik aus dem 19. Jahrhundert. Der Radweg aus dem Dorf unter der Auto­bahnbrücke der A42 und der Haus-Knipp-Brücke mit ihrem stählernen Fachwerk hindurch erlaubt einen Abstecher zur Halde Rheinpreußen. Dort oben, auf 103 Metern Höhe, hat man einen wunderbaren Blick auf den Niederrhein, auf die Mühlen und Seen und natürlich auch aufs Ruhrgebiet. Die wohl größte Grubenlampe der Welt, das Geleucht des Künstlers Otto Piene, erinnert an die Zeit der Zechen. Wenn man es genau nimmt, gehört die Halde bereits zu Moers. „Aber die ‚gemeinden‘ wir mal ein“, erklärt Pilita Beltran mit einem Lächeln.

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